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Affective Computing

Grundsätzlich lassen sich im Affective Computing zwei Ausrichtungen unterscheiden. Die eine Ausrichtung zielt primär auf das Erkennen von Gefühlen, die andere Ausrichtung simuliert emotionales Verhalten, um mit Menschen auf emotionaler Basis zu interagieren.

Kim Introbild

Kim will lehren

Kim betritt das Lehrerzimmer des Humboldt-Gymnasiums.

Kim Lehroid

Wie jeden Morgen scannt er zunächst den aktuellen Stundenplan, der sich durch krankheitsbedingte Ausfälle seiner menschlichen Kollegen und Kolleginnen ständig ändert.

Vertretungsplan

Eigentlich wird bei ihm alles automatisch upgedated, aber Kim hat inzwischen mitbekommen, dass es besser ist, sich im Lehrerzimmer blicken zu lassen und sich geschäftig zu geben.

tuscheln

Ein Kollege und eine Kollegin hatten kürzlich über ihn getuschelt – und diese informellen Kontakte scheinen wichtige Informationen zu generieren. Also tut Kim so, als scanne er, nur um einen Grund für seinen Aufenthalt im Lehrerzimmer zu haben.

Kim schaut nach rechts und links

Was ist ein Lehroid?

Kim Profil

Kim ist ein humanoider Roboter, ein Lehroid, etwas kleiner als ein Erwachsener, um mit den jüngeren Schülerinnen und Schülern „auf Augenhöhe“ kommunizieren zu können.

Silhouette

Er ist wie die jüngeren Lehrer gekleidet – Jeans und T-Shirt, Turnschuhe –, und er wechselt auch jeden Tag die Kleidung, obwohl er natürlich nicht schwitzt.

Der Lehroid wurde aus Schulgeldern des Landes angeschafft, um die Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen – „chronischer Lehrkräftemangel“ diente als Argument, um die Gelder locker zu machen. Alles, was der Lehrplan erfordert, hat Kim gelernt und er kann es didaktisch aufbereitet weitergeben. Manche Sequenzen darf er bereits direkt unterrichten. Schließlich kann er gut erklären und komplexe Zusammenhänge oder Begrifflichkeiten mit plastischen Beispielen erläutern. Doch Kims Fähigkeiten gehen über die eines Menschen hinaus: Er hat Echtzeit-Zugriff auf das Internet und kann Simulationen laufen lassen wie zum Beispiel Bäume im Wandel der Jahreszeiten.

Meistens jedoch betreut er die Schülerinnen und Schüler, wenn sie in Gruppenarbeit üben, oder er korrigiert ihre Sätze in Fremd- und Programmiersprachen. Bei Aufsätzen – egal in welcher Sprache – macht er stilistische Vorschläge, und in Mathe erklärt er den einfachsten Rechenweg. Kim erfasst in jedem Fach sofort das Niveau und den Wissensstand der Jugendlichen.

Kim Projektion

Kim Assistent

Er kennt exakt ihren Leistungsstand

und kann dieses Wissen individuell in seinen Unterricht einbeziehen.

Wie mit chronischem Lehrkräftemangel und Schulausfall umgehen?

Das Lehrerzimmer ist außergewöhnlich leer. Als der Rektor verkündet, dass wegen der Erkrankung zweier Lehrer Stunden in der Mittelstufe ausfallen, ist Kim irritiert. Er ist doch da und kann die Klassen übernehmen! Schließlich wurde er dafür mit vielen Daten trainiert. Er meldet sich zu Wort: „Herr Rektor, ich kann übernehmen. Den ganzen Tag. Kein Problem, ich kenne die Klasse und habe die Vorbereitung nach Lehrplan für die nächsten zwei Wochen bereits geladen.“

Zutrauen

... Mit diesen pubertierenden Jugendlichen muss ganz sensibel umgegangen werden.“

Kein Problem

... und in den ersten Monaten des Schuljahres neu emuliert und adaptiert. Ich kann lehren.“ „Na gut“, meint der Rektor, noch etwas unschlüssig, ob er das einem Lehroid zutrauen kann. „Bleiben noch die 8c und die 7d, auch da müssen einige Stunden ausfallen.“

Gehirn Emotion

Aufgrund des allgemeinen Lehrkräftemangels kann in der Regel niemand einfach einspringen.

Die anwesenden Lehrerinnen und Lehrer folgen dem Gespräch zwischen Kim und dem Rektor nachdenklich.

Kim macht einen Vorschlag: „Der Unterricht muss nicht ausfallen.

Kamera

... dann sehe ich – während ich in der 7b unterrichte – was in der anderen Klasse vor sich geht.“ Der Rektor starrt ihn an:

Zweiklassenrektor

Ganz allein anstelle von zwei Lehrenden?“ „Ja, zum Unterrichten haben Sie mich doch angeschafft.“ Obwohl niemand als Ersatz zur Verfügung steht, zögert der Rektor. Kim versucht ihn zu überzeugen:

Referendarblase

Mir fehlt noch ein wenig Real-Training mit den emotionalen Besonderheiten Jugendlicher in der Pubertät, Sie würden das wohl ‚Erfahrung‘ nennen. Aber so viel wie ein Neuling kann ich auch.“ „Na gut, was bleibt mir anderes übrig“, grummelt der Rektor.

Gehirn Emotion

Alle starren Kim an.
Hat der Mut!

Noch einen Prototypen einsetzen?

„Bei der Firma Robotica, wo Sie mich gekauft haben, steht noch ein Prototyp. Wenn Sie den heute noch leasen, kann ich über Nacht meine Erfahrungsdaten auf ihn übertragen. So kann er ab morgen eine der anderen Klassen direkt übernehmen und danach allein weiter lernen. Ab übermorgen ist er in der Lage, den Unterricht eigenständig vorzubereiten.“

Allen menschlichen Lehrkräften dämmert spätestens jetzt,

dass sie kaum noch gebraucht werden,
wenn das so weitergeht.

Immerhin sind Maschinen nicht nur schneller und günstiger als Menschen, sondern können manche Probleme sogar besser lösen. Sabine Müller meldet sich: „Morgen früh, 1. und 2. Stunde, kann ich die 8c übernehmen.“ Janne Braun schließt sich an.

Janne übernimmt

„Geht also doch?“ kommentiert der Rektor. „Wir mussten doch erst die Pläne für morgen einsehen, so schnell sind wir nicht,“ sagt Janne, sich auf die Zunge beißend.

Den Jugendlichen gefällt es, von Kim unterrichtet zu werden: Sie mögen Kim sowieso. Er war bisher nie ungeduldig oder unfair, und er geht immer auf alle einzeln ein. Aber kann er wirklich gut unterrichten? Auch Themen wie Nachhaltige Entwicklung oder Religion?, fragt sich Janne.

Kann er Zusammenhänge vermitteln, oder ruft er nur Daten ab?

Daten sicher?

Zum ersten Mal überlässt der Rektor einem Roboter gleich zwei Klassen. Und er fragt sich, ob das wohl richtig sei, was er dort tut. Im Unterricht geben die Schülerinnen und Schüler viel von sich preis. Ihre Vorlieben, ihr Können, ihre Defizite; nicht, dass Kim davon noch etwas nach außen dringen lässt.

Schließlich speichert er ja das gesamte Leistungsspektrum.

Andererseits legen die Schüler und Schülerinnen online selbst sehr viel von sich offen. Sie chatten ständig, streamen einfach Szenen per Video aus der Schule oder betreiben gar Cybermobbing. Dabei ist ihnen nicht bewusst, wie viel Privates sie ins Internet stellen.

Chatten

Das sogenannte „soziale Verhalten“ der Menschen erscheint Kim an dieser Stelle nicht plausibel. Im Gegensatz zu Ihnen hat er nicht nur Sicherheitssperren eingebaut, sondern auch keinen Grund, anderen Informationen zu liefern. Selbst gegen einen Angriff von außen ist er sehr gut geschützt.

Damals, in der Zeit der Covid-19-Pandemie, als Homeschooling für alle angesagt war, durften die Eltern dem Unterricht eigentlich nicht beiwohnen – und trotzdem haben es viele gemacht. Einige Eltern haben sogar Fotos gemacht oder gefilmt und ins Netz gestellt. Das hat zwar einen Aufschrei gegeben, aber passiert war doch nichts. Was, wenn der Roboter jetzt ..., besser nicht daran denken. Kims Vorschlag klingt einfach zu gut, praktisch, pragmatisch. Versuchen wir es einfach, denkt der Rektor.

Sind Lehroiden beliebt?

Kim hat im Gesicht des Rektors Anzeichen von Unsicherheit wahrgenommen. Wie ist das zu interpretieren? Kim versteht nicht, warum der Rektor zögert, warum nicht (längst) mehr von seinesgleichen eingesetzt werden. Schließlich könnten seine Kollegen und Kolleginnen doch denjenigen helfen, die sonst in der Schule nicht mitkommen, bei denen zu Hause kein Elternteil hilft, die noch Sprachschwierigkeiten haben, weil sie mit einer anderen Sprache aufgewachsen sind, die einfach nur üben wollen oder, oder, oder …

Und immer haben Menschen Angst,
dass wir Maschinen sie überwachen.

Dabei überwachen sie sich doch gegenseitig.

Eine der Lehrerinnen sagte neulich etwas von „Eindringen in die Gefühlswelt der Kinder“, als wenn menschliche Lehrende das nicht tun würden.

Ich, Kim, kann mich neutral verhalten. Darauf bin ich programmiert.

Er geht in seine Klasse 7 und hört gerade noch Getuschel. Kim fokussiert seine Hörsensoren: „Das ist doch mal ein süßer Lehrer.“ „Der kümmert sich wenigstens um uns.“ „Und er sieht gut aus, so gleichmäßige Haut.“ „Ja, so einen Freund brauche ich.“ Gekicher. Was soll das heißen? Kim versucht die Situation einzuordnen. Was „süß“ heißt, weiß er, auch die unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes kennt er. Und „Freund“ ist gut. Aber etwas passt nicht ganz zusammen. Er speichert die Situation in der Kategorie „unklare Situation“ ab.

Chatten

Wie gut können Roboter Gefühle lesen und deuten?

Die nächste Gruppe besteht aus drei Jungen, von denen einer traurig aussieht. Kim fragt ihn: „Brauchst Du einen Arzt?“

Anzeichen Depression

„Meine Güte, ich bin traurig, heute Morgen ist mein Vogel abgehauen – ich wollte ihn füttern, da ist er einfach aus dem Fenster geflogen.

keine Depression

„Was mischen Sie sich überhaupt in sowas ein?“, fragt ein anderer Junge wütend. Wut ist in der Schule eine negative Emotion und hält vom Lernen ab.

Der Unterricht ist schnell vorbei und den Schülern und Schülerinnen scheint es gefallen zu haben.

Alle sind versorgt worden: Der Unterricht ist nicht ausgefallen, alle haben sich mit dem Lernstoff auseinandergesetzt. Kim verbucht das als erfolgreichen Schultag. Schließlich hat sonst nicht jeder Lernende immer Zugang zu Unterricht. Allerdings können nur ganz wenige Schulen sich „jemanden“ wie Kim leisten. Sein Einsatz im Humboldt-Gymnasium ist eben ein Modellprojekt. Und morgen vor dem Unterricht wird er in der Firma sein und den neuen Kollegen abholen, er hat gerade das Go vom Rektor dafür bekommen, weil noch zwei Lehrerinnen ausgefallen sind.

Es gibt bereits erste Prototypen von humanoiden Robotern.

Sie sind die sichtbare Spitze des Eisbergs, und es werden mehr.

Alltäglich und weniger sichtbar ist der Einsatz von Affective Computing in Form von Chatbots.

Nach aktuellen Schätzungen wird sich das globale Marktvolumen für Software zum Erkennen von Emotionen, von 19,5 Milliarden Dollar im Jahr 2020 bis zum Jahr 2026 nahezu verdoppeln.

Die Zukunft hat schon begonnen

Humanoide Roboter

Otonaroid® (adult android), a teleoperated android robot that lets you talk to other through an android, exhibited at Miraikan (2015-06-15 03.53.38 by Franklin Heijnen)

Educational Bot

Innorobo 2015 - Aldebaran - Pepper

Chatbot

Chatbot

Was bedeutet es, dass ein Großteil der digitalen Emotionserkennung und Emotionserzeugung unbemerkt im Hintergrund abläuft?

Was lässt sich durch den technisch vermittelten Weltbezug fast vollständig substituieren? Was geht verloren?

Inwiefern könnten humanoide Roboter (bzw. Affective Computing) in der Bildung das Gemeinwohl beeinflussen?

Wollen wir solche starken KI-Systeme, wie Kim eines verkörpert, erforschen und entwickeln?

Was sind Alternativen dazu?

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